Knastmarathon in Darmstadt - da muss man hin !
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Als Bänker wird man heute in der Öffentlichkeit oft als Verbrecher dargestellt, was liegt also näher als in Darmstadt beim Knastmarathon
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an den Start zu gehen? Dieser Lauf war schon länger auf meiner Liste „Wo muss ich unbedingt mal starten“ und somit meldete ich mich
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letztes Jahr im November an. Der Hintergrund dieses Marathons ist allerdings etwas ernster: Das Marathonprojekt dient dazu die Insassen
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Ausdauer, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin und Willenstärke zu vermitteln und zu zeigen das mein seine Ziele damit erreichen kann.
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In den letzten Wochen vor dem Marathon geisterten allerdings ganz andere Gedanken in meinem Kopf herum als bei sonstigen Marathonstarts.
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Normalerweise beschäftigt sich man mit der Strecke und ihren Besonderheiten oder mit dem Wetter oder wer läuft da mit oder,
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oder, oder. Dieses Mal waren die Gedanken eher: WARUM landet man eigentlich in der JVA? Was sind das für Typen die da im Knast sind?
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Was ist das für eine Atmosphäre? Wie stark beeindruckt mich das „Umfeld“ bei diesem Marathon?
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Am vergangenen Sonntag ging es dann um 4 Uhr 30 los, Zug, Bus und das letzte Stück mit dem Taxi waren die Stationen. Kurz
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nach 8 Uhr war ich dann vor der JVA Darmstadt. Als erstes hieß es Ausweis, Geldbeutel und Handy abgeben, im Austausch bekam man ein
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nicht unwichtiges Armbändchen (siehe Bild). Dieses Armbändchen stellte den Unterschied zwischen Internen (Insassen der JVA)
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und Externen (Läufern, Besuchern) dar, sprich nicht verlieren, sonst wird es beim Verlassen schwierig ;-)
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Wir kamen alle in einen größeren Raum und wurden freundlich gebeten auf den Bierbänken Platz zu nehmen. Es kam nun „der natürliche Feind“
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eines Läufers: Ein Hund, genauer gesagt ein Drogenhund. Der Aufforderungen keine hektischen Bewegungen zu machen, weil sich sonst
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der Hund erschreckt, kamen wir alle sehr gerne nach. Als der Kollege Schäferhund dann meine Tasche abschnüffelte, dachte ich mir nur
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„ schön das wir uns hier begegnen und nicht bei mir in den Weinbergen „ :-)
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Fertig waren die Kontrollen, eine Tür wurde geöffnet und dann war der Hintschi im Knast. Das Gelände sieht eigentlich aus wie eine
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große Kaserne mit dem kleinen aber feinen Unterschied dass hier Gitter vor den Fenstern waren. Der Start/Ziel Bereich fiel einem sofort
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in die Augen und die Jungs mit den grauen Hosen und roten T-Shirts …. ohne Armbändchen. Wir wurden von allen sehr freundlich begrüßt
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und ich holte direkt meine Startnummer inklusive des geilen Finishershirt ab.
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der “kleine” Unterschied an diesem Tag: das grüne Armbändchen
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cooles Finishershirt mit Namen und JVA Eingang
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km
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Zeit
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Herzfr.
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1
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07:35
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158
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2
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07:33
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167
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3
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07:26
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171
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4
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07:25
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173
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5
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07:40
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171
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6
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08:00
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167
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7
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08:00
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166
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8
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08:04
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165
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9
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08:18
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161
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10
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08:24
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160
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11
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08:07
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162
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12
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08:04
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166
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13
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09:37
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156
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14
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08:55
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158
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15
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09:12
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158
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16
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09:02
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160
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17
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09:20
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158
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18
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09:01
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162
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19
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10:25
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154
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20
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09:28
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159
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21
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10:28
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153
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22
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09:58
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155
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23
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10:45
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151
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24
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10:47
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149
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3:31:42
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160
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Ich hockte mich erst einmal auf eine Bank und lies das Ganze auf mich wirken und beobachte
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nur. Hier waren Interne die Brötchen aus der Küche holten und in einem gewissen Abstand
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ein Sicherheitsbeamte der die Jungs im Auge behielt. Es wurden Wassereimer aufgestellt und
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plötzlich kamen drei Polizeiautos durch das große Tor!? Ein Blick in das Programmheft machte
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schnell klar hier kommen die Marathonläufer der JVA`s Wittlich und Weiterstadt.
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Gegen 9 Uhr fing dann mal langsam die Marathonvorbereitung an, die Klamotten wurden in
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einen großen Kleidersack gesteckt mit der Nummer 38 und los ging es! Die erste Runde der
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Streckenbesichtigung drehte ich alleine und da wurde schon klar, dass das hier kein Spaziergang
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werden würde! 15 Kurven auf 1,75 km, eine Begegnungsstrecke sprich es kommen einem immer Läufer
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entgegen und dann war da noch das ca. 150-200 m lange Stück an der Gefängnismauer, schön in
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der Sonne *schwitz*. In der zweiten Runde mischte ich mich einfach unter die Insassen und lief mich
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mit ihnen warm.
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10 Uhr – Knastmarathon ich komme. Die ca. 300 Starter versammelten sich am Start und ab ging
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der sehr ausführliche Hofgang in der JVA Darmstadt. Die erste 180 Grad Kurve kam nach wenigen
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Metern vorbei an den „härteren“ Jungs die in einem extra eingezäunten Bereich dem Treiben zuschauten
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Zurück zum Start-/ Zielbereich ging es vorbei an den ersten „Zuschauern“, sprich Insassen die gerade
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ihre tägliche Stunde Freigang genossen. Die längste Gerade folgte: links Gefängnismauer, rechts
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Aschenfussballplatz ging es danach auf die nächsten 180 Grad Wende zu. Die sollte im Laufe des
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Rennens immer „hässlicher“ werden, bestand sie doch aus einem einfachen Hütchen mit einer
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sehr engen Kurve. Quer durch die Schlosserei landet man wieder an der „langen“ Gerade zwischen
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Gefängnismauer und Sportplatz. Nach 7:35 war die erste Runde vorbei, es sollten noch 23 folgen!
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Um einigermaßen einen Plan zu haben wie schnell ich bin hatte ich mir die Kilometerzeiten hoch
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gerechnet auf die 1,75 km. Auf meinem Unterarm war somit zu lesen: 4:15 Tempo 7:26, 4:30 Tempo
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7:52, 4:45 Tempo 8:18, 5:00 Tempo 8:45 und für die Runden ohne Power 5:30 Tempo 9:37.
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Nach drei Runden fingen die ersten Überrundungen an und so ging es eigentlich dann das komplette
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Rennen hindurch. Die Zeiten entsprachen bis hierher meinem Ziel: Erste Hälfte unter 1:35, zweite Hälfte
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gemütlich ohne das es weh tut. Nach 6 Runden merkte ich aber bereits wie anstrengend es ist ständig
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Kurven zu laufen bzw. zu schauen wo man am günstigsten eine Überrundung vollzieht.
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Ein weiterer Faktor war mal wieder die fehlerhafte Wettervorhersage ;-) wolkig hatte ich da gestern gelesen, na über der JVA strahlte
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der Himmel. Dass ich mir im Laufe des Tages ordentlich Bräune ins Gesicht zauberte merkte ich allerdings erst abends vor dem Spiegel
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Es setzte die Vernunft ein, vor allem mit dem Wissen das ich bisher „nur“ 25 km Läufe in der Vorbereitung gelaufen hatte. Ich nahm also
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etwas Tempo raus, war aber sehr gleichmäßig unterwegs.
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12 Runden vorbei – so langsam begann ich manche Teile der Strecke zu lieben zum Beispiel durch die Schlosserei- bzw. andere zu hassen
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scheiß Hütchenwende ;-) 1:34:15 war die Durchgangszeit nach der Hälfte, noch einmal nahm ich kontrolliert das Tempo raus. Der nicht
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laufende Teil der Insassen der als Helfer eingesetzt wurde, verpflegte uns bestens mit Wasser, Cola, Banane oder an zwei zusätzlichen
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Wasserstellen mit Schwämmen.
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Ein Detail über das ich mir vor dem Lauf überhaupt nicht bewusst war, ist das Thema Begegnungsstrecke. In einem normalen Stadtmarathon
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habe ich wenig Einblick in die Leiden und Veränderungen der einzelnen Läufer. Hier konnte man regelmäßig den Läufern der unterschiedlichen
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Leistungsstärke ins Gesicht sehen! Da waren die Insassen der JVA, kräftige Jungs Oberarme wie ich Oberschenkel habe ;-) die würden so ein
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Leichtgewicht wie mich einfach über die Gefängnismauer werfen *g*. In der ersten Hälfte die meisten locker, teilweise noch quatschend
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mit dem Kollegen oder mit den Externen. Runde für Runde konnte man dann bei manchem beobachten was der Marathon aus einem
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starken Mann machen kann! Gehpausen, völlige Leere im Gesicht irgendwie vor sich hin trotten, aber nicht aufgeben :-) Ich glaube in meiner
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Runde 15 konnte ich einen der Insassen mit ein paar Worten wieder zum weiterlaufen überreden, somit grüßten wir uns ab sofort jede Runde
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mit Daumen hoch, durchhalten oder ähnlichen aufmunternden Worten.
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ABER auch die Spitze eines Marathons konnte sehr gut beobachtet werden! Sehr lange hatte Johannes Waldschmidt geführt, aber schon ab
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Runde 17/18 hatte ich den Eindruck das die Rundendreherei auch hier deutlich optische Spuren hinter lies. Der arme Kerl wurde
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tatsächlich 2 oder 3 Runden vor Schluss eingeholt :-/ Ab Runde 16 kam es bei mir auch immer mal wieder zu „längern“ Stopps an der
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Verpflegungsstation: Cola trinken war angesagt ;-) In den Runden 17,18 hatte ich dann die Führende des Frauenfelds vor mir
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und wie Männer so sind: Frau… sofort hinterher ;-)
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Ein weitere Faktor erinnerte mich eher an die Formel Eins: Es schien so als würde die ständige Kurvenlauferei dafür sorgen das die Reifen
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äähh die Füße ungleichmäßig belastet werden. Ich spürte deutlich am rechten kleinen Zeh und am linken großen Zeh die Bildung
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von Blasen tztztz hatte ich schon jahrelang nicht mehr. In Runde 19 musste ich dann allerdings abreißen lassen und es zeigte sich das
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mein Garmin nicht nur Herzfrequenz und Zeit anzeigen kann sondern auch körperlichen Zustand! Da stand nämlich: Batterie low hahaha
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Durch manchen Ultra wusste ich für die Uhr kein Problem, die läuft noch locker 40 Minuten ;-) anders sah das mit meinen Beinen aus, die
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waren jetzt wirklich platt. Die letzten 2-3 Runden waren somit doch etwas zäh, aber nach 3:31:42 war ich auch im Ziel und erhielt meine
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Finishermedaille.
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Nach dem Marathon redete ich dann mit einigen der Insassen länger und auch mit einigen Angestellten der JVA. Im Nachhinein habe
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ich dann festgestellt das mich die Frage: Warum jemand in der JVA landet nicht mal mehr so interessiert, sondern eher wie leben die
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Menschen hier und wie fühlen sie sich in der aktuellen Situation. In den Gesprächen wurde deutlich das es für die Insassen schon ein
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besonderer Tag ist bei diesem Marathon helfen zu dürfen oder ihn zu laufen, weil er einfach Abwechslung in den tristen Alltag bringt.
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Es war auch bewegend zu sehen wie sich die Insassen freuten nach dem überstandenen Marathon, ok die meisten mit den Worten:
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Nie wieder ;-) aber die Medaille in den Händen machte sie schon stolz. Generell war die Unterstützung von den Insassen neben der Strecke
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immer freundlich immer motivierend und es machte Spaß hier zu laufen.
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Fazit:
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Ergebnistechnisch war ich genau in dem Bereich unterwegs wie ich es erwartet hatte, trotz einer nicht einfachen Strecke und sonnigen
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Temperaturen. Generell gilt für diesen Lauf: EIN MUSS für jeden Läufer! Die Frage ob ich in New York laufe ist in erster Linie eine Frage
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des Geldbeutels, die Frage ob ich in Darmstadt laufe orientiert sich eher daran ob ich mich mit Menschen wenigsten zweitweise beschäftigen
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will die nicht die oberste Gruppe unserer Gesellschaft darstellen.
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Eine kleine Anekdote zum Schluss: Als ich abends im Stuttgarter Bahnhof auf die S-Bahn wartete waren da einige „schräge“ Gestalten und
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er erste Gedanke war: „Die Jungs im Knast sympathischer”
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